Hat ein Einspruch des Steuerpflichtigen Erfolg, weil das Finanzamt
einen Sachverhalt fehlerhaft beurteilt hat, kann das Finanzamt die steuerlich
zutreffenden Folgen in einem anderen Bescheid, z.B. für ein anderes Jahr,
ziehen und die Steuerfestsetzung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern.
Erfolgt diese nachteilige Änderung aber nicht nachträglich, sondern bereits vor
der zugunsten vorgenommenen Änderung des fehlerhaften Bescheids, muss der
fehlerhafte Bescheid bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung, die den
nachteiligen Bescheid betrifft, geändert oder aufgehoben werden, und diese
Einspruchsentscheidung muss innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des
fehlerhaften Bescheids ergehen, falls bereits die reguläre
Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Hintergrund: Wird aufgrund
irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid erlassen,
aber anschließend mit Erfolg angefochten, kann das Finanzamt aus dem
Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der widerstreitenden Steuerfestsetzung
nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen ziehen und einen entsprechenden
Steuerbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern oder erlassen. Der
Ablauf der Festsetzungsfrist für den zu ändernden Bescheid ist unbeachtlich,
wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder
Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.
Streitfall: Die Klägerin
verkaufte im Jahr 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und erklärte die
Verkäufe nicht in ihrer Steuererklärung für 2007. Das Finanzamt erließ den
Steuerbescheid für 2007 daher ohne Ansatz eines Veräußerungsgewinns. Die
Steuererklärung für 2008 gab die Klägerin im Jahr 2009 ab. Nachdem das
Finanzamt von den Grundstücksverkäufen erfahren hatte, änderte es den
Steuerbescheid für 2007 und erfasste einen Veräußerungsgewinn. Hiergegen legte
die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, dass der Veräußerungsgewinn
wegen eines abweichenden Wirtschaftsjahres je zur Hälfte im Jahr 2007 und im
Jahr 2008 zu versteuern sei. Während des Einspruchsverfahrens gegen den
Steuerbescheid 2007 änderte das Finanzamt zunächst den Steuerbescheid für 2008
am 15.9.2014 und setzte den Veräußerungsgewinn zur Hälfte an. Zwei Tage später,
am 17.9.2014, änderte es den Steuerbescheid für 2007 zugunsten der Klägerin und
setzte dort den Veräußerungsgewinn nur noch zur Hälfte an. Die Klägerin legte
Einspruch auch gegen den Steuerbescheid für 2008 ein. Am 18.11.2016 wies das
Finanzamt den Einspruch gegen den Steuerbescheid für 2007 und am 13.12.2016 den
Einspruch gegen den Steuerbescheid für 2008 als unbegründet zurück.
Entscheidung: Der BFH verwies
die Sache, die den Einkommensteuerbescheid 2008 betraf, an das Finanzgericht
(FG) zur weiteren Aufklärung zurück:
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Zwar kann das Finanzamt nachträglich aus der zugunsten des
Steuerpflichtigen erfolgten Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids die
richtigen steuerlichen Folgen in einem anderen Steuerbescheid ziehen und diesen
zu Lasten des Steuerpflichtigen ändern. Im Streitfall ist aber keine
nachträgliche Änderung des Bescheids für 2008 erfolgt, sondern der Bescheid für
2008 wurde bereits am 15.9.2014 und damit vor der zugunsten des
Steuerpflichtigen erfolgten Änderung des Bescheids für 2007 (am 17.9.2014)
geändert. Am 15.9.2014 lag somit noch kein Widerstreit vor, der zu einer
Änderung berechtigt hätte. -
Diese vorab erfolgte nachteilige Änderung des Bescheids für
2008 ist aber unschädlich, wenn der rechtswidrige Bescheid für 2007 zugunsten
des Steuerpflichtigen geändert wird, bevor die Einspruchsentscheidung gegen den
nachteiligen Bescheid für 2008 ergeht. Denn durch die Einspruchsentscheidung
wird der angefochtene Bescheid für 2008 quasi aktualisiert. Im Streitfall war
diese Voraussetzung gegeben; denn der Bescheid für 2007 wurde am 17.9.2014 und
damit vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung für 2008 geändert, die am
13.12.2016 erfolgt ist. -
Allerdings war die vierjährige Festsetzungsfrist für 2008 am
15.9.2014 bereits abgelaufen, da sie am 31.12.2013 geendet war (Abgabe der
Steuererklärung für 2008 im Jahr 2009, so dass die vierjährige Frist am
1.1.2010 begann und am 31.12.2013 endete). -
Deshalb greift die spezielle gesetzliche einjährige
Ablaufhemmung in einem Fall der vorab erfolgten nachteiligen Änderung nur dann,
wenn die Einspruchsentscheidung für den Bescheid der nachteiligen
Steuerfestsetzung 2008 innerhalb der Jahresfrist erlassen wird, d. h. innerhalb
eines Jahres nach Änderung des Steuerbescheids für 2007 am 17.9.2014. Dies war
im Streitfall nicht zu bejahen, da die Einspruchsentscheidung erst am
13.12.2016 erlassen wurde und nicht bis zum 17.9.2015. -
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Denkbar ist aber, dass die Klägerin eine leichtfertige
Steuerverkürzung begangen hat, da sie den Veräußerungsgewinn gar nicht erklärt
hat. In diesem Fall würde eine fünfjährige Festsetzungsfrist statt der
vierjährigen Festsetzungsfrist gelten. Die Festsetzungsfrist für 2008 würde
dann bis zum 31.12.2014 laufen, so dass die Änderung am 15.9.2014 rechtzeitig
erfolgt wäre. Auf die Änderungsmöglichkeit wegen einer widerstreitenden
Steuerfestsetzung käme es dann nicht an.
Hinweise: Der Fall betrifft die
sog. widerstreitende Steuerfestsetzung. Das Verfahrensrecht will
widersprüchliche (widerstreitende) Steuerfestsetzungen verhindern. Hat z.B. der
Einspruch des Steuerpflichtigen gegen den Steuerbescheid 2020 mit der
Begründung, die Einnahmen seien ihm bereits 2019 zugeflossen, Erfolg gehabt,
soll das Finanzamt anschließend den Bescheid für 2019 zuungunsten des
Steuerpflichtigen ändern können und die Einnahmen im Bescheid für 2019
erfassen; hierzu hat es selbst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für
2019 noch ein Jahr Zeit. Der Steuerpflichtige soll auf diese Weise an seinem
Vorbringen festgehalten werden können.
Quelle: BFH, Beschluss v.
12.5.2022 – VI R 20/19; NWB
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