Ein Steuerbescheid, in dem Einnahmen versehentlich doppelt als
Arbeitslohn und als Betriebseinnahmen erfasst worden sind, kann zugunsten des
Steuerpflichtigen wegen neuer Tatsachen geändert werden, wenn weder den
Steuerpflichtigen noch seinen Steuerberater an der Doppelerklärung der
Einnahmen ein grobes Verschulden trifft; grobes Verschulden ist zu verneinen,
wenn nicht ohne Weiteres erkennbar war, dass die Betriebseinnahmen bereits in
der Lohnsteuerbescheinigung enthalten waren.

Hintergrund: Nach Ablauf der
Einspruchsfrist wird ein Steuerbescheid formell bestandskräftig. Er kann dann
nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten oder zuungunsten des
Steuerpflichtigen korrigiert werden. So kann der Steuerbescheid z.B. zugunsten
des Steuerpflichtigen geändert werden, wenn nachträglich neue
Tatsachen
bekannt werden und den Steuerpflichtigen
kein grobes Verschulden am nachträglichen
Bekanntwerden trifft. Ein grobes Verschulden des Steuerberaters wird dem
Steuerpflichtigen zugerechnet.

Sachverhalt: Der Kläger war
angestellter Chefarzt in einem Krankenhaus. Er durfte wahlärztliche Leistungen
im stationären sowie im ambulanten Bereich erbringen und abrechnen. Sämtliche
Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen flossen auf das Girokonto des
Klägers. Allerdings wurden die Honorare für die ärztlichen Wahlleistungen im
stationären Bereich vom Krankenhaus seit einer Umstellung des
Abrechnungssystems im Jahr 2006, über die der Kläger nicht informiert worden
war, als Arbeitslohn behandelt. Das
Krankenhaus teilte dem Kläger nicht mit, welche Einnahmen aus den
wahlärztlichen Leistungen als Arbeitslohn besteuert wurden. Der Kläger erfasst
alle Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen für 2009 bis 2012 als
Betriebseinnahmen; das Finanzamt folgte den
Steuererklärungen, so dass die Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen im
stationären Bereich doppelt versteuert wurden. Ende 2014 bemerkte der Kläger
den Fehler und beantragte eine Änderung der Steuerbescheide wegen neuer
Tatsachen. Das Finanzamt lehnte eine Änderung ab.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage im Grundsatz statt:

  • Die Steuerbescheide der Jahre 2009 bis 2012 waren zugunsten
    des Klägers zu ändern, da nachträglich neue Tatsachen bekannt geworden sind.
    Als neue Tatsache ist der Umstand anzusehen, dass die Einnahmen des Klägers aus
    seinen wahlärztlichen Leistungen im stationären Bereich bereits in der
    Jahreslohnbescheinigung enthalten waren und damit doppelt besteuert wurden.

  • Den Kläger trifft an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser
    neuen Tatsache kein grobes Verschulden. Grobes Verschulden liegt vor, wenn der
    Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen
    zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise
    verletzt. Die steuerliche Frage, ob Einnahmen aus wahlärztlichen Leistungen
    eines angestellten Arztes zu seinem Arbeitslohn gehören, hängt vom jeweiligen
    Einzelfall ab und richtet sich nach verschiedenen Kriterien wie z.B. den im
    Arbeitsvertrag geregelten Dienstpflichten. Ein Rechtsirrtum des Klägers, der
    davon ausging, dass die Einnahmen aus den stationär erbrachten Wahlleistungen
    nicht zum Arbeitslohn gehören, stellt kein grobes Verschulden dar.

  • Ein grobes Verschulden des Klägers liegt auch nicht darin,
    dass er seine monatlichen Gehaltsabrechnungen nicht mit der
    Jahreslohnbescheinigung und seinem Gehalt laut Dienstvertrag abgeglichen hat.
    Denn der Kläger ist über die Umstellung der Abrechnungspraxis im Jahr 2006
    nicht vom Krankenhaus informiert worden. Zudem sind sämtliche Einnahmen aus den
    wahlärztlichen Leistungen seinem Girokonto gutgeschrieben worden. Das Verhalten
    des Klägers ist daher allenfalls leicht fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig.

Hinweise: Auch den Steuerberater
des Klägers traf kein grobes Verschulden. Der Steuerberater musste nicht
erkennen, dass ein Teil der Einnahmen aus den wahlärztlichen Leistungen im
Bruttoarbeitslohn enthalten war.

Der BFH hat die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen, das nun
die genaue Höhe der Einnahmen aus wahlärztlichen Leistungen im stationären
Bereich ermitteln muss.

Das Urteil erleichtert die Änderung fehlerhafter Bescheide
zugunsten der Steuerpflichtigen, weil der BFH keine überhöhten Anforderungen an
den Begriff des groben Verschuldens stellt. Bezüglich des groben Verschuldens
kommt es allerdings immer auf den konkreten
Einzelfall
an: Für den Kläger war es aufgrund der
Abrechnungspraxis und aufgrund der unterbliebenen Mitteilungen des
Krankenhauses über die als Arbeitslohn behandelten Einnahmen nicht ohne
Weiteres erkennbar, dass ein Teil der Einnahmen aus wahlärztlichen Leistungen
im Bruttoarbeitslohn enthalten war. Auch für den Steuerberater war dies nicht
ohne Weiteres erkennbar. Damit lag kein grobes Verschulden vor.

Quelle: BFH, Urteil v. 18.4.2023 – VIII R 9/20; NWB