Hat der Unternehmer seine Umsätze zu Unrecht jeweils erst im
Folgemonat angemeldet und korrigiert das Finanzamt diesen Fehler, indem es die
Umsätze im zutreffenden Monat erfasst, können die sich hieraus ergebenden
Nachzahlungszinsen zumindest teilweise erlassen werden. Der Erlass kann nicht
mit der Begründung abgelehnt werden, dass es unterjährige Zinsvorteile, d.h.
Zinsvorteile im laufenden Jahr, gegeben habe, die durch die Zinsfestsetzung
abgeschöpft werden sollen.
Hintergrund: Steuernachzahlungen
werden verzinst, wenn die Nachzahlung auf einem Steuerbescheid beruht, der
mindestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer
entstanden ist, bekannt gegeben worden ist. Vorauszahlungen wie z.B. die
Umsatzsteuervorauszahlungen werden nach dem Gesetz nicht verzinst.
Sachverhalt: Die Klägerin war
Unternehmerin und hatte keine Dauerfristverlängerung beantragt, so dass sie
ihre monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen bis zum 10. Tag des Folgemonats
abgeben musste. In den Streitjahren 2009 bis 2013 meldete sie 90 % ihrer
Umsätze nicht in dem Monat an, in dem sie den Umsatz ausgeführt hatte, sondern
erst im jeweiligen Folgemonat, wenn ihr die für die Rechnungserstellung
erforderlichen Informationen von ihren Subunternehmern mitgeteilt wurden. Im
Rahmen einer Außenprüfung bemerkte das Finanzamt den Fehler und korrigierte ihn
in der Weise, dass es 90 % der im jeweiligen Januar der Jahre 2009 bis 2013
angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zuordnete. Dies führte zu Nachzahlungszinsen
von insgesamt ca. 2 Mio. €. Den Zinsfestsetzungen lag ein Zinslauf von
56 Monaten (für 2009), 44 Monaten (für 2010), 32 Monaten (für 2011), 20 Monaten
(für 2012) und acht Monaten (für 2013) zugrunde. Die Klägerin beantragte den
Erlass der Nachzahlungszinsen, den das Finanzamt unter Hinweis auf die
unterjährig entstandenen Zinsvorteile ablehnte.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) hielt einen Erlass der Nachzahlungszinsen für möglich.
Hierüber muss nun das Finanzamt ermessensfehlerfrei neu entscheiden:
-
Ein Erlass von Steuern oder Nachzahlungszinsen ist möglich,
wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus persönlichen oder
sachlichen Gründen unbillig wäre. Sachliche Unbilligkeit ist zu bejahen, wenn
die Steuer- bzw. Zinsfestsetzung zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber im
konkreten Fall den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass ihre
Erhebung unbillig erscheint und der Gesetzgeber einen Erlass gewährt hätte,
wenn er den konkreten Fall als regelungsbedürftig erkannt hätte. -
Im Streitfall ist eine sachliche Unbilligkeit zu bejahen, da
der Liquiditätsvorteil, der aufgrund der Zinsfestsetzung abgeschöpft werden
soll, in Wirklichkeit nicht in dem Umfang vorhanden war, wie ihn das Finanzamt
bei der Zinsfestsetzung zugrunde gelegt hat. -
Zwar hat die Klägerin im Laufe des jeweiligen Streitjahres
Liquiditätsvorteile gehabt, weil sie 90 % ihrer Umsatzsteuern jeweils einen
Monat zu spät angemeldet und abgeführt hat. Allerdings ist der über das
jeweilige Streitjahr hinaus entstandene Vorteil, der sich daraus ergibt, dass
die Umsätze des Dezembermonats erst im Januar des Folgejahres angemeldet worden
sind, vor Beginn des Zinslaufs für das Vorjahr wieder ausgeglichen worden; denn
die Klägerin hat die Umsatzsteuer für den Januar des Folgejahres umgehend
gezahlt. -
Würde man den unterjährigen Liquiditätsvorteil, der z.B.
dadurch entsteht, dass die Umsatzsteuer für März erst im Voranmeldungszeitraum
April angemeldet worden ist, bei der Zinsfestsetzung berücksichtigen, käme es
im Ergebnis zur Verzinsung von Vorauszahlungen, die nach dem Gesetz aber nicht
verzinst werden dürfen.
Hinweise: Der Bescheid, mit dem
das Finanzamt den Erlassantrag abgelehnt hat, ist aufgehoben worden, so dass
das Finanzamt erneut über den Erlassantrag entscheiden muss. Das Finanzamt wird
nun zumindest einen Teilerlass gewähren müssen. Dieser könnte so aussehen, dass
die Zinsen insoweit erlassen werden, als sie den tatsächlichen
Liquiditätsvorteil für 90 % der jeweils im Dezember entstandenen Umsätze
übersteigen. Dies würde dazu führen, dass statt eines Liquiditätsvorteils von
ca. 47.000 € nur ca. 15.000 € anzusetzen wären.
Die zeitliche Zuordnung von Umsätzen zum richtigen
Voranmeldungszeitraum ist in der Praxis kein seltenes Problem, wenn z.B. der
Unternehmer Subunternehmer beschäftigt und von diesen die Informationen über
die ausgeführten Umsätze erst nach Ablauf der Abgabefrist für den zutreffenden
Voranmeldungszeitraum erhält. Richtigerweise muss dann die
fehlerhafte Voranmeldung berichtigt werden.
Im Streitfall ist dies jedoch unterblieben; stattdessen sind die Umsätze im
folgenden Voranmeldungszeitraum angemeldet worden. Das aktuelle Urteil
erleichtert in einem solchen Fall nun einen Teilerlass der Nachzahlungszinsen.
Quelle: BFH, Urteil v. 23.2.2023
– V R 30/20; NWB
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