Der VIII. Senat des
Bundesfinanzhofes (BFH) hält die derzeitige Regelung zur Höhe der
Aussetzungszinsen für verfassungswidrig. Da das Gericht nicht selbst über die
Verfassungswidrigkeit einer Norm entscheiden kann, hat der BFH das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Klärung der Rechtsfrage angerufen. Im
konkreten Fall geht es um den Aussetzungszinssatz in Höhe von 0,5 %, der für
den Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 erhoben wurde.
Hintergrund: Einspruch
und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, d.h.
die Erhebung einer Abgabe wird nicht aufgehalten und der Steuerpflichtige muss
die festgesetzte Steuer zunächst zahlen. Die aufschiebende Wirkung von
Einspruch und Klage kann aber in einem summarischen Verfahren
auf Antrag bei ernstlichen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von Finanzamt oder Finanzgericht
gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Für den
Steuerpflichtigen bedeutet das einerseits, dass er die Steuer zunächst nicht
zahlen muss. Andererseits droht ihm eine Belastung mit Zinsen, wenn sein
Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer
„nachträglich“ zahlen muss. Er hat dann nämlich für die Dauer der
AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro
Monat, also 6 % pro Jahr zu entrichten (sog. Aussetzungszinsen).
Sachverhalt: Der Kläger
hatte seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung
setzte das Finanzamt auf Antrag des Klägers aus. Die Klage war erfolglos.
Aussetzungszinsen von 0,5 % wurden für 78 Monate festgesetzt, u.a. für den
Zeitraum von 1.1.2019 bis zum 15.4.2021. Der Kläger wandte sich gegen die
Zinsfestsetzung, in erster Instanz ohne Erfolg.
Entscheidung: Die Richter
BFH dagegen halten den Zinssatz im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 für
gleichheitswidrig und mit dem Grundgesetz unvereinbar:
-
Zumindest während einer
anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist der gesetzliche Zinssatz der
Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung
typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil
abzuschöpfen. -
Es besteht eine nicht
gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die eine
Aussetzung der Vollziehung (AdV) in Anspruch nehmen und solchen, die den
streitigen Steuerbetrag direkt leisten. -
Zudem werden Steuerpflichtige,
die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, und
Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen
entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag
geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer
deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. -
Denn Nachzahlungszinsen werden
seit dem 1.1.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % für jeden Monat, also
mit 1,8 % pro Jahr berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung ist
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. -
Darüber hinaus haben
Steuerpflichtige in der Regel keinen Einfluss auf die Dauer des Verfahrens und
damit einhergehend auch nicht auf die Höhe der
Aussetzungszinsen.
Hinweis: Erfahrungsgemäß
ziehen sich Verfahren vor dem BVerfG über Jahre hin. Bis zu einer Entscheidung
kann gegen Zinsbescheide, die Aussetzungszinsen für Zeiträume ab 2019
betreffen, Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens beantragt
werden.
Quelle: BFH, Beschluss vom 8.5.
2024 – VIII R 9/23; NWB
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