Für die Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft vom Unternehmer
auf den Leistungsempfänger nach dem sog. Reverse-Charge-Verfahrens genügt es,
wenn der Leistungsempfänger aufgrund der Angaben des Unternehmers hinreichend
identifizierbar ist, sodass neben seiner Identität auch seine
Unternehmereigenschaft überprüft werden kann. Es ist hingegen nicht
erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine gültige
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet.
Hintergrund: Im
Umsatzsteuerrecht wird in bestimmten Fällen die Schuldnerschaft vom Unternehmer
auf den Leistungsempfänger verlagert, sodass der Leistungsempfänger die
Umsatzsteuer schuldet. So schuldet z.B. der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer
für eine Dienstleistung, die in Deutschland von einem in einem anderen EU-Staat
ansässigen Unternehmer erbracht wird, sofern der Leistungsempfänger ein
Unternehmer ist.
Sachverhalt: Die Klägerin
betrieb im Jahr 2015 einen Online-Marktplatz im EU-Ausland. Auf diesem
Marktplatz verkauften sowohl Nichtunternehmer als auch Unternehmer Waren. Die
Klägerin ließ sich von den Unternehmern die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
angeben und überprüfte sie. Sofern die Klägerin feststellte, dass die
angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ungültig war oder dass der
Verkäufer, der sich als Unternehmer bezeichnete, keine
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben hatte, überprüfte sie auf andere
Weise dessen Unternehmereigenschaft: So nahm sie die Unternehmereigenschaft an,
wenn der Verkäufer eine bestimmte Anzahl von Verkäufen oder aber eine bestimmte
Umsatzhöhe erreicht hatte oder wenn er auf einer gewerblichen Plattform
angemeldet war, die Nichtunternehmern nicht zugänglich war. Lag einer dieser
drei Fälle vor, ging die Klägerin ebenfalls von einer Steuerschuldnerschaft des
Verkäufers (Leistungsempfängers) aus. Im Jahr 2018 wurde die Klägerin auf eine
in Deutschland ansässige GmbH verschmolzen. Das deutsche Finanzamt prüfte die
Klägerin und lehnte eine Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft in den
Fällen ab, in denen eine USt-Steueridentifikationsnummer fehlte oder ungültig
war, und verlangte von der Klägerin die Umsatzsteuer.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage im Grundsatz statt, verwies die Sache aber
zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht (FG) zurück:
-
Die Klägerin erbrachte im Jahr 2015 eine in Deutschland
steuerbare Leistung, indem sie ihren Nutzern auf elektronischem Weg den Zugang
und die Nutzung des Online-Marktplatzes zur Verfügung stellte. Dienstleistungen
eines Unternehmers an einen anderen Unternehmer werden grds. an dem Ort
erbracht, von dem aus der andere Unternehmer (Leistungsempfänger) sein
Unternehmen betreibt. -
Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft von der
Klägerin auf ihre Kunden und Leistungsempfänger (Verkäufer auf dem
Online-Marktplatz) setzt nach dem Gesetz voraus, dass der Leistungsempfänger
Unternehmer ist. -
Für den Nachweis der Unternehmereigenschaft ist es nach dem
Gesetz nicht erforderlich, dass der Leistungsempfänger über eine
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt oder diese verwendet. Entscheidend
und ausreichend ist, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist und die
Voraussetzungen eines Unternehmers erfüllt.
Hinweise: Der BFH hat die Sache
an das FG zurückverwiesen, das nun die Identität und Unternehmereigenschaft
derjenigen Leistungsempfänger überprüfen muss, die keine oder keine gültige
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vorgelegt haben. Diese Überprüfung muss
zumindest stichprobenartig erfolgen.
Sollte der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden können, geht dies zu
Lasten der Klägerin, da sie die Feststellungslast trägt. Denn die Verlagerung
ihrer Steuerschuldnerschaft wirkt sich zu ihren Gunsten aus.
Quelle: BFH, Urteil vom 31.1.2024 – V R 20/21; NWB
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