Hat sich ein Klageverfahren beim Finanzgericht infolge der
Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 verzögert, kann der Kläger hierfür keine
Entschädigung auf der Grundlage einer sog. Verzögerungsrüge verlangen. Denn
eine coronabedingte Verzögerung ist nicht dem staatlichen Verantwortungsbereich
anzulasten.

Hintergrund: Im Fall einer
unangemessen langen Verfahrensdauer eines Finanzgerichtsverfahrens kann der
Kläger einen Entschädigungsanspruch von 100 € pro Verzögerungsmonat
geltend machen. Hierfür muss er zunächst beim Finanzgericht (FG) eine sog.
Verzögerungsrüge erheben. Nach Ablauf von sechs Monaten kann er dann eine
Entschädigungsklage beim Bundesfinanzhof (BFH) erheben, der über die
Entschädigung entscheidet.

Sachverhalt: Der Kläger war
Unternehmer und erbrachte gegenüber einer in der Schweiz ansässigen GmbH
Beratungsleistungen, die er als nicht umsatzsteuerbar ansah. Das Finanzamt
folgte dem nicht und erließ Umsatzsteuerbescheide, gegen die sich der Kläger
wehrte und am 19.1.2018 Klage erhob. Am 15.1.2020 erhob der Kläger eine
Verzögerungsrüge, weil aus seiner Sicht die Besorgnis bestand, dass das
Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Eine Woche später
forderte der zuständige Richter die Steuerakten an, und am 8.7.2020 lud der
Vorsitzende Richter zur mündlichen Verhandlung auf den 21.8.2020. Die Klage
wurde abgewiesen. Am 20.10.2020 erhob der Kläger beim BFH Klage auf
Entschädigung wegen unangemessen langer Verfahrensdauer und machte einen
Schadensersatz für eine Verzögerung von sechs Monaten geltend, d.h. in Höhe von
600 € zuzüglich Zinsen.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab:

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    Die Entschädigung setzt eine unangemessen
    lange Verfahrensdauer
    voraus. Bei einem durchschnittlich
    schweren Verfahren ist es grundsätzlich geboten, dass das Gericht nach gut zwei
    Jahren mit der abschließenden Bearbeitung beginnt und insbesondere zum Termin
    zur mündlichen Verhandlung lädt.

  • Das Klageverfahren des Klägers war durchschnittlich schwer.
    Denn es musste der Sachverhalt aufgeklärt und geprüft werden, ob eine
    Zeugenvernehmung erforderlich ist. Auch der Schwerpunkt des Urteils liegt in
    der Sachverhaltsermittlung und nicht bei der rechtlichen Bewertung.

  • Da die Klage im Januar 2018 erhoben worden ist, hätte daher an
    sich mit Ablauf des Januars 2020 mit der abschließenden Bearbeitung begonnen
    werden müssen. Dies ist zunächst geschehen, da der zuständige Richter die
    Steuerakten angefordert hat.

  • In den anschließenden Monaten März 2020 bis einschließlich
    Juni 2020 ist es zwar zu einer Verzögerung gekommen; diese
    Verzögerung war aber coronabedingt und ist der Justiz nicht
    zuzurechnen
    . So wurde die Covid-19-Erkrankung am 11.3.2020
    von der Weltgesundheitsorganisation zur Pandemie erklärt.

  • In der Justiz kam es – wie auch in anderen Bereichen des
    öffentlichen Lebens und der Wirtschaft – zu erheblichen Einschränkungen.
    So wurde etwa ein Notbetrieb eingeführt und der Sitzungsbetrieb vorübergehend
    eingestellt; erst im Juni 2020 waren Sitzungen wieder möglich, nachdem ein
    Hygienekonzept erstellt worden war. Es genügte daher, dass im Juli 2020 für den
    August 2020 geladen wurde, nachdem das FG zunächst die übrigen Sitzungen, die
    ab März 2020 ausgefallen waren, nachgeholt hatte.

Hinweise: Der BFH macht
deutlich, dass die Einschränkungen aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht
justizspezifisch waren. Nach dem Leitsatz des Urteils sind die Verzögerungen
beim Sitzungsbetrieb allerdings „nicht dem staatlichen
Verantwortungsbereich“ zuzuordnen. Dies erscheint nicht ganz zutreffend,
da die Einschränkungen im Justizbetrieb ausschließlich durch den Staat
angeordnet worden sind. So haben etwa die Justizministerien in den
Bundesländern in den Gerichten einen Notbetrieb und Abstandsregeln angeordnet,
die sich in den Sitzungssälen angesichts des Öffentlichkeitsgrundsatzes, der
einen Ausschluss der Öffentlichkeit verbietet, und aufgrund der
Sitzmöglichkeiten für einen fünfköpfigen Senat zunächst nicht umsetzen ließen.

Ist das Klageverfahren für den Kläger besonders wichtig, kann er
auf die Eilbedürftigkeit hinweisen und die Gründe hierfür anführen. Das Gericht
ist dann gehalten, das Klageverfahren schon vor Ablauf von zwei Jahren
abschließend zu bearbeiten.

BFH, Urteil v. 27.10.2021 – X K 5/20; NWB