Die Erhebung des
Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht
verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.1.2023
– IX R 15/20 entschieden.
Hintergrund: Der
Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und
Körperschaftsteuer. Der Solidaritätszuschlag wurde zunächst 1991 eingeführt.
Als Sinn und Zweck der Erhebung sind damals die finanziellen Auswirkungen des
Golfkriegs sowie die Mehrbelastungen resultierend aus dem Zusammenbruch der
Sowjetunion und der Wiedervereinigung angeführt worden. Dieser (erste)
Solidaritätszuschlag betrug maximal 7,5 Prozent und war zeitlich bis zum
30.6.1992 befristet. Er wurde nicht verlängert, so dass er Mitte 1992 auslief.
Der geltende (zweite)
Solidaritätszuschlag wird seit dem Jahr 1995 bis heute erhoben. Rechtsgrundlage
ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995). Der Solidaritätszuschlag
betrug von 1995 bis 1997 zunächst 7,5 Prozent, ab 1998 5,5 Prozent der
festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Er wurde allen
Steuerpflichtigen – sowohl in den alten wie auch in den neuen
Bundesländern – entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auferlegt, um in einem
solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen die deutsche Einheit
zu finanzieren. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu. Bis zum Jahr 2019 wurde
der Solidaritätszuschlag kaum verändert.
Mit dem Gesetz zur Rückführung des
Solidaritätszuschlags 1995 (aus dem Jahr 2019) wurde der Zuschlag fortgeführt.
Allerdings wurden aus sozialen und konjunkturellen Gründen rund 90 Prozent der
Steuerpflichtigen ab dem Jahr 2021 von der Abgabenpflicht befreit. Nur
Spitzenverdiener müssen seitdem die
Ergänzungsabgabe noch entrichten. In der Begründung des Gesetzes wird
ausgeführt, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte
Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt, im
Bereich der Anspruchs- und Anwartschaftsüberführung und im Hinblick auf
besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer. In der Folge sank das
Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von rund 19 Milliarden € im Jahr
2020 auf rund 11 Milliarden im Jahr 2021.
Sachverhalt: Die Kläger
wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020
und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078
€ und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57
€ Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das
klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten
Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße
gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II
und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die
damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der
Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von
Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte
Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem
Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht
rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem
Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen
Gesetzesänderung um eine verkappte „Reichensteuer“, die gegen den im
Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Entscheidung: Die Richter
des BFH folgten dieser Argumentation nicht:
-
Beim Solidaritätszuschlag
handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich
zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der
Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht
geboten. -
Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106
Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen
Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe
muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die
Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist
ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern
und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine
verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden,
wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren,
grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden
ist. -
Der Solidaritätszuschlag sollte
bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der
deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem
Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs
zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine
Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht
verloren. -
Eine zwingende rechtstechnische
Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem
Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den
Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter
Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der
Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im
Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen.
Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021
fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden
wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden. -
Dass sich diese Kosten im Laufe
der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021
in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher
höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in
Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags
wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will,
sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der
aus der Bewältigung einer
Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr
langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim
Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch
nicht abgelaufen. -
Da der ursprüngliche Zweck für
die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht
entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die
Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht
an. -
Der Solidaritätszuschlag
verstößt auch nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem
Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher
höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende
Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt.
Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der
Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen
ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig.
Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im
wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen
Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen
Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende
Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des
Grundgesetzes gerechtfertigt.
Hinweis: Spannend bleibt,
wie es weitergeht. Der unterlegene Kläger hat bereits angekündigt,
Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung des Soli einzureichen. Das
Bundesverfassungsgericht würde dann selbst die Verfassungsmäßigkeit des Soli
prüfen. Wann mit einer solchen Entscheidung zu rechnen ist, ist zurzeit noch
nicht absehbar.
Quelle: u.a. BFH, Pressemitteilung
vom 30.1.2023 zum Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20; NWB
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