Versteuert ein Unternehmer seine Umsätze zu Unrecht jeweils erst
ein Jahr später, wenn er das Entgelt vereinnahmt, und nicht bereits in dem
Jahr, in dem er seine Leistung erbracht hat, kann er die erklärungsgemäß
ergangene Umsatzsteuerfestsetzung anfechten, um die zeitlich zutreffende
Zuordnung der Umsätze zu bewirken. Der Erfolg seiner Anfechtung ist nicht davon
abhängig, dass das Finanzamt die Umsatzsteuerfestsetzung für das Vorjahr noch
ändern kann.

Hintergrund: Die Umsatzsteuer
entsteht mit der Ausführung der Leistung, sog. Soll-Besteuerung. Nur wenn der
Unternehmer die Ist-Besteuerung beantragt und die Voraussetzungen hierfür
erfüllt (z. B. einen Jahresumsatz von aktuell 800.000 € nicht
überschreitet), entsteht die Umsatzsteuer erst mit der Vereinnahmung des
Entgelts.

Sachverhalt: Die Klägerin
betrieb eine Kfz-Werkstatt und versteuerte ihre Umsätze nach vereinbarten
Entgelten. Ihre Zahlungsansprüche, die sie gegenüber einem bestimmten
Kfz-Hersteller hatte, buchte sie auf einem „Vergütungskonto“. Den
sich zum 31.12. eines Jahres ergebenden Saldo des Vergütungskontos unterwarf
die Klägerin zu Unrecht erst im jeweiligen Folgejahr, in dem sie das Entgelt
vereinnahmte, der Umsatzsteuer. Nach einer Außenprüfung erhöhte der Prüfer die
Umsätze des Jahres 2015 um den sich zum 31.12.2015 ergebenden Saldo des
Vergütungskontos; außerdem erhöhte er aus anderen Gründen auch die Umsatzsteuer
2014. Die Klägerin legte gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015
Einspruch ein und machte geltend, dass bei der Umsatzsteuer 2015 der
Vergütungssaldo vom 31.12.2014 sowie bei der Umsatzsteuer 2014 der
Vergütungssaldo vom 31.12.2013 abgezogen werden müsse. Das Finanzamt half den
Einsprüchen ab. Im Anschluss erhöhte es nun aber die Umsatzsteuer für 2013 um
den Vergütungssaldo vom 31.12.2013. Hiergegen wandte sich die Klägerin und
beantragte die Minderung der Umsatzsteuer 2013 um den Vergütungssaldo vom
31.12.2012, der bislang in der Bemessungsgrundlage für 2013 enthalten war. Dies
lehnte das Finanzamt ab.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Bei der Festsetzung der Umsatzsteuer 2013 durfte der
    Vergütungssaldo vom 31.12.2012 nicht bei der Bemessungsgrundlage berücksichtigt
    werden; denn die Leistungen, die dem Vergütungssaldo vom 31.12.2012 zugrunde
    lagen, wurden bereits im Jahr 2012 erbracht und waren daher im Jahr 2012 zu
    versteuern. Die Klägerin versteuerte ihre Umsätze nämlich nach der
    Soll-Besteuerung und nicht nach der Ist-Versteuerung.

  • Entgegen der Auffassung des Finanzamts
    erfordert die Änderung des Bescheids für 2013 nicht, dass noch
    der Vorjahresbescheid für 2012 geändert werden kann
    und in
    die Bemessungsgrundlage für 2012 noch der Vergütungssaldo vom 31.12.2012
    aufgenommen wird. Eine derartige Regelung, nach der Umsätze nicht unversteuert
    bleiben dürfen, gibt es nur beim Wechsel von der Soll- zur Ist-Besteuerung und
    umgekehrt. Diese Regelung ist auf den Streitfall aber weder unmittelbar noch
    entsprechend anwendbar, da es an einer planwidrigen Regelungslücke
    fehlt.

Hinweise: Unbeachtlich war, dass
die Klägerin die fehlerhafte Umsatzsteuerfestsetzung selbst ausgelöst hatte,
indem sie den Vergütungssaldo jeweils erst im Folgejahr als Umsatz erklärte.

Das Finanzamt hat das Verfahren zwar verloren. Es kann jetzt aber
prüfen, ob es noch den Vorjahresbescheid für 2012 zulasten der Klägerin ändern
kann. Eine solche Änderung ist im Fall einer sog. widerstreitenden
Steuerfestsetzung, die nun aufgrund des Klageerfolgs gegeben sein dürfte, weil
der Vergütungssaldo zum 31.12.2012 weder in der Umsatzsteuerfestsetzung 2013
noch in der Umsatzsteuerfestsetzung 2012 enthalten ist, möglich. Das Gesetz
lässt die Korrektur des fehlerhaften Bescheids für 2012, selbst wenn für das
Jahr 2012 nunmehr Festsetzungsverjährung eingetreten sein sollte, innerhalb
eines Jahres nach Änderung des fehlerhaften Bescheids für 2013 grundsätzlich
zu.

Quelle: BFH, Urteil v. 29.8.2024 – V R 19/22; NWB